Goslar von morgen
7. Juni 2005 im Amsdorfhaus
Herzlichen Dank sage ich Ihnen von der Kulturinitiative für Ihr Engagement. Goslars Zukunft in kultureller und speziell in kirchlicher Sicht, das ist Thema. „Zukunft“, so eine ironische Definition, „ist das, was passiert, während wir sie vorbereiten.“
Zunächst einmal: Goslar muss nicht Kultur produzieren. Goslar ist Kultur! Und Goslar muss nicht christliche Kultur importieren; Goslar ist aus dem Geist christlicher Kultur erwachsen und wird darin leben, wenn es sie pflegt. Das hat Goslar zunächst einmal mit vielen mittelalterlichen Städten gemein, aber: in Goslar ist ungewöhnlich viel davon sichtbar und dokumentiert… und wird gelebt! Man muss nur mit offenen Augen durch unsere Stadt laufen, dann sieht man es: Kirchengebäude und Kapellen von ungewöhnlicher Qualität und Erhaltung. Hospize und Stifte in großartiger Verfassung. Kloster Riechenberg. Die Pfalz mit ihrer so besonderen mittelalterlich-christlichen Geschichte…
Und auch: die Bürgerhäuser mit ihren Inschriften und ihrem Balkonschmuck. Das Rathaus mit seiner überaus frommen Innenausstattung und vieles mehr. Das alles ist Kultur pur und es ist durchdrungen von christlichem Geist, biblischen Impulsen und Frömmigkeitskultur. Das gilt bekanntlich auch für den Bergbau, den Rammelsberg (die EXPO in den Kirchen hat’s erwiesen). Goslar ist also Kultur – und das wird anerkannt, darum gilt es auch als Welt-Kultur-Erbe. Wer als Gast nach Goslar kommt, ist überwältigt, spricht sozusagen diese Stadt „selig“: ihr habt es hier schön, das ist ja toll!
Nun gibt es aber ein merkwürdiges „Goslar-Syndrom…“, eine Art „Wahrnehmungs-Defizit“ in der Bevölkerung. Wenn man eine Zeitlang hier lebt, stellt sich eine Irritation ein: „…habe ich da etwas übersehen…?“ In der Zeitung wird über die Probleme berichtet – gut so; über scheiternde Vermarktungsstrategien, über fehlende Visionen…und ab und zu muss ein Ehepaar aus Wanne-Eickel herhalten, das auf dem Marktplatz abgelichtet wird und Sätze sagt wie: „Das ist wirklich schön hier; nächstes Jahr kommen wir wieder“.
Dann sind die/wir Goslarer stolz – zweifeln aber, ob sie wiederkommen; denn: bis dahin haben sie bestimmt gehört, dass das alles gar nicht so toll ist, dass es Leerstände gibt und Bevölkerungsrückgang und Schlaglöcher in den Straßen… Was will ich damit sagen? Wenn wir an Goslars Zukunft und speziell an seiner Kultur arbeiten, müssen wir drei Dinge beseitigen: das Wahrnehmungsdefizit… das Selbstdarstellungsdefizit… das Integrationsdefizit.
Zum Wahrnehmungsdefizit habe ich etwas gesagt. Ich glaube, viele Goslarer müssten mal wieder bewusst durch die Stadt streifen, das Museum besuchen, bestimmte Gebäude von innen entdecken… die Fülle der Veranstaltungen wahrnehmen… Ein Beispiel ist die Öffnung des Nordturmes der Marktkirche: am wenigsten kommen Goslarer Bürger, wohl aber zehntausende Menschen aus der ganzen Welt pro Jahr. Manch Goslarer Bürger hat die Schreiter-Fenster nicht gesehen und kennt nicht die herausragende Bedeutung der Cosmas- und Damian-Scheiben oder der Sakristei der Marktkirche.
Zum Selbstdarstellungsdefizit: … da ist vieles schon besser geworden in der letzten Zeit (GMG). Aber: besinnen wir uns genug auf unsere eigenen Themen, auf „Alleinstellungsmerkmale“? Wo ist eine Pflege der Bergmannskultur im Stadtbild? (außer Glockenspiel). Während der EXPO wurde es sichtbar…, aber ansonsten wenig… Oder: die Mittelalter- und Kaisertraditionen… Warum gibt es keine Kaiserfestspiele (mit Niveau!)? Ulkig: in Werlaburgdorf/Schladen ist noch kein einziger Stein zu sehen, aber es gibt ein großes Fest. Bei uns steht ein einsamer Ritter auf dem Marktplatz und lässt sich fotografieren oder es fallen „eingekaufte“ in die Stadt ein, die genauso in Braunschweig oder sonst wo zu sehen sind…oder (schlimmer): Bananen und Wurst werfende Schreihälse… Es geht ja anders: zu beobachten ist eine aus der Bevölkerung heraus wachsende Kultur: das Klaustorfest war ein Beispiel dafür, was die Einwohner auf die Beine zu bringen in der Lage sind… Oder „Pfingsten in Goslar“, eine Zusammenarbeit aller Kirchen der Altstadt. Wenn Kultur nur noch von außen eingekauft wird, hat das keine Zukunft.
Und schließlich: es gibt ein Integrationsdefizit, das wir überwinden müssen: Als ich vor fünf Jahren nach Goslar kam, traute ich meinen Augen nicht: es gab zwei verschiedene Tourismus- bzw. Stadt-Info-Büros… Symptomatisch! Das ist konkret überwunden, aber es gibt Ähnliches, Antagonistisches… In einem Gespräch über dieses Phänomen sagte mir jemand: „Klar, jeder will König von Goslar sein“… und man kennt das: gelingt die Umsetzung einer Idee, dann will sie jeder als erster gehabt haben, scheitert sie, dann hatte man nie etwas damit zu tun… das ist menschlich, aber der Sache nicht förderlich…
Es muss darum eine Art Gesamtsicht der kulturellen Aspekte von Goslar geben, trägerübergreifend! Nicht einrichtungs- oder institutionsbezogen. Immer im Blick auf die Nachfragenden dargestellt! Da ist schon manches passiert: Internet-Kalender… Monatsübersichten etc…. Aber es ist nach wie vor schwierig, einen Gesamtüberblick zu bekommen… Der Trend, nur solche Sachen zu promoten / veröffentlichen, an denen man partizipiert, ist gefährlich… Also: Integration. Wer dafür zuständig ist, darüber müsste man reden…
Wenn es wahr ist, dass Goslar überwiegend in christlicher Kultur seinen Ursprung hat, dann ist auch ganz entscheidend, was Kirche tut und wie sie erlebt wird. Die genannten Probleme haben wir auch: Internes Wahrnehmungsdefizit … Mangelhafte Selbstdarstellung… Integrationsdefizit…. Aber wir sind dran – und gestalten unsere Zukunft, soweit das geht… Beispiel: Ökumene…Gemeinsames Plakat mit allen Veranstaltungen; Gottesdienst-Schilder an Stadteingängen; Pfingsten in Goslar; Kirchenführer… Beispiel: www.FindenundVerbinden.de… Alle Träger/Einrichtungen sind dabei, sich miteinander zu verknüpfen (Kirche/Diakonie/Caritas)). Das Ganze nachfrageorientiert dargestellt. Und: alle Kirchen sind verlässlich geöffnet!
Goslar hat eine Kultur des Helfens, die Ihresgleichen sucht (1000 Ehrenamtliche in der Kirche; Freiwilligenagentur, Alltagshilfen, Diakonische Beratungsdienste, Abendfrieden/Theresienhof, Freizeitheim Wildemann, Diakonie-Ausschüsse/-Kassen; Klingelbeutel). Fördervereine werden verstärkt zu einer Zukunftsgarantie… (Marktkirche, Kirchenmusik Frankenberg…). Bürgerschaftliches Engagement (Kirchlich; und auch: s. Kulturkraftwerk…). „Ab in die Höhe“, Kulturelle Leistung der Service-Clubs…
Unter dem Gesichtspunkt „Integration“ und „Gesamtdarstellung“ muss man auch die Kirchenmusik sehen. Wir haben drei hauptamtliche Kirchenmusiker in der Stadt (dazu Ehepaar Kern): Musik auf höchstem Niveau…; der Stadtmusikrat ist ein Integrationsansatz. Wird das wirklich auf allen Ebenen kommuniziert, ist man stolz als Goslarer auf „seine“ Kirchenmusik, wie auf „sein“ Zinnfigurenmuseum, „sein“ Archiv, „seine“ Marktkirchenbibliothek…?! Es gibt vieles zu entdecken und in ein Gesamt-Szenario zu integrieren, z. B. die Bildungsstätten: Bildungshaus Zeppelin, Landfrauen-Akademie, Hessenkopf, Jakobushaus und andere.
Dem Stadtgrundriss von Goslar liegt wahrscheinlich bewusst die Idee des Gottesstaates zugrunde. Hans-Günter Griep hat für die Jahresgabe für die Mitglieder des Museumsvereins 2005 dazu Bemerkenswertes geschrieben. „Das himmlische Jerusalem ist die Grundidee des Stadtplanes.“ Und damit ist Grundlage unserer Stadtkultur eine biblische Verheißung der Offenbarung des Johannes. Dort heißt es: „Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem … Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!“
Das ist sozusagen Kultur auf ihrem Höhepunkt. Alles ist so eingerichtet, dass es allen gut geht. Kultur hat sich entfaltet über alle Stadien der lateinischen Wortbedeutungen von „colere“, das in unserem Wort „Kultur“ steckt: bebauen, bewohnen, pflegen, verehren, anbeten… Immer sonntags feiern wir diesen Endzustand quasi vorwegnehmend – im Alltag hapert’s noch, zugegeben…aber da wollen wir ja gemeinsam etwas tun…