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Bratenrede zum XXXIII. Goslarschen Pancket

26. März 2004 in der Kaiserpfalz

Kennen Sie den, meine Damen und Herren: Treffen sich zwei Braunschweiger. Sagt der eine zum anderen: „Du, den Goslarern soll es ja sehr schlecht gehen!“ „Wieso?“ „Ja, hast Du nicht gehört: die haben sich als Oberbürgermeister einen Seelsorger genommen!“ – „Ah“, sagt der andere, „jetzt verstehe ich auch die Hannoveraner!“ „Wieso?“ – „Na, weißt du doch: zum Trost haben die den Goslarern ihren Gabriel zurückgeschickt!“

Das sind natürlich dumme Witze, Herr Ministerpräsident, Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren, die wollen suggerieren: schlecht geht es, bergab. Wie Sie gleich sehen werden: das ist blühender Unsinn, Ungeheures bahnt sich in Wahrheit an.

Aber der Reihe nach!

Montag, 5. Oktober.

Ein milder herbstlicher Tag. Einige wenige Touristen streifen durch Goslar. In der Redaktion der Goslarschen Zeitung hämmert die Redakteurin lustlos ihren Bericht in die Maschine. Wieder mal muss sie melden: die Besucherzahlen stagnieren; die Überlegungen zur Region kommen nicht weiter; keiner blickt mehr durch: „Landschaft Südostniedersachsen“, „Nationalpark Harz“; „Fokusbranchen-Innovation“; „Kulturhauptstadt“, „Metropolregion als Mittelpunkt Europas“ ... Die Redakteurin schüttelt den Kopf: was soll das noch werden ...

Was sie nicht ahnt: soeben ist der Befehl des Goslarer Marketing-Chefs gekommen: „Bepflanzt die Innenstadt mit Tannen!“ Und so passiert´s. Scharen von kräftigen Männern schwärmen in den Harz aus und holzen die Berge ab. In kürzester Zeit verschwindet die Innenstadt in einem Wald von gigantischen Harz-Tannen. Parole des Marketing-Chefs: „Wenn die Leute nicht zum Wald kommen, muss der Wald zu den Leuten kommen!“

Dienstag, 6. Oktober.

Der Oberbürgermeister von Wolfsburg hat Wind von der Sache bekommen. Er ahnt sofort: das ist eine Attacke gegen unsere Stadt! Seine Befürchtung: mit dieser Nacht- und Nebel-Aktion könnte Goslar die regionale Führung übernehmen und Wolfsburg alt aussehen lassen. Umgehend ordnet er an, die gesamte Stadt hydraulisch auf die Höhe des Brockens anheben zu lassen, um den Harzern endlich das Alleinstellungsmerkmal „Berge“ zu nehmen.

Mittwoch, 7. Oktober.

9 Uhr: Braunschweig bekommt Kenntnis von der Marketing-Offensive. Rat und Verwaltung besinnen sich auf das große Wissenschaftspotential der Stadt und beschließen, einen Satelliten zum Jupiter zu schicken – mit dem Oberbürgermeister an Bord. Die Live-Bilder sollen exklusiv in das neu errichtete Braunschweiger Schloss gesendet werden. Die Hochschule für Bildende Künste gestaltet ein Plakat mit der Aufschrift: „Schau die Stadt von oben an, dann kannst du seh´n: es ist was dran!“

10 Uhr: Jetzt haben es auch die Wolfenbütteler gemerkt. In der Herzog-August-Bibliothek findet der Direktor wundersamer Weise die Planungsskizze des Universums; Autor: der Schöpfer selber.

11 Uhr: Geknickt muss das der Bad Harzburger Archivar zur Kenntnis nehmen; gerade wollte er kulturell glänzen mit dem im Kurpark aufgefundenen Reisetagebuch des Erzvaters Abraham.

Donnerstag, 8. Oktober.

Bad Gandersheim nimmt die regionale Herausforderung an und vergrößert seine Festspiel-Tribüne auf das Maß des römischen Kolosseums – allerdings unter Verlust der Stadt als solcher. Ebenfalls unbesonnen agiert Peine und verlegt die Autobahn Moskau-Paris in die Innenstadt, damit die Durchreisenden die Schönheiten der Stadt nicht verpassen.

Freitag, 9. Oktober.

In Goslar ist beschlossene Sache: Tessner überwölbt die gesamte Innenstadt mit einem Glasdach, Motto: „Selbst beim Kauf der neuen Socken bleiben deine Füße trocken!“ – Schenning will sich nicht lumpen lassen und gibt die Gründung einer Hochbegabten-Uni in der ehemaligen Kaserne bekannt. Er kommentiert sein Vorhaben mit den Worten: „Was heißt hier Fachhochschule ... das reicht für Goslar nicht aus!“

Montag, 12. Oktober.

Weltweit sind die Medien in Aufruhr. Flugzeuge, Hubschrauber und schnelle Autos haben die Reporterscharen in die Kaiserpfalz befördert. Fasziniert berichten sie über den eskalierenden Wettbewerb unter den Kommunen.

6.13 Uhr: Der VW-Vorstand beschließt, die Produktion des Golf 6 in die Kaiserpfalz Goslar zu verlegen und sie dafür bis zum Rammelsberg hin zu vergrößern.

7.12 Uhr: Quedlinburg beginnt, den Domfelsen in Richtung Australien anzubohren. Ziel: direkter Zugang in die Stadt für die Bewohner des 5. Kontinents.

8.25 Uhr: Einen weltweiten Lacherfolg bringt der Täuschungsversuch der Wolfenbütteler, die alle Verkehrszeichen in Richtung auf ihre Stadt gedreht haben. „Unfair“, so kommentiert ein Reporter der TAZ, „so verliert man seine Glaubwürdigkeit“.

12.17 Uhr: In Braunlage ist der Eisberg aus Norwegen angekommen. „Das ist vertretbar“, kommentiert ein Ratsherr der Grünen, „da gibt´s zu viel Eis, hier zu wenig“.

15 Uhr: Die Verwaltung des Nationalparks beginnt damit, den Harz zu planieren, um eine reibungslose Anreise der Touristen zu gewährleisten.

Dienstag, 13. Oktober.

Goslar ist überfüllt mit Hunderttausenden von Touristen. Jeder will die Stadt sehen, von der dieser spektakuläre Wettbewerb ausgegangen ist. Im Rat der Stadt ist Streit darüber ausgebrochen, wer die Idee als erster hatte. 12 Uhr: der Rat wird neu gewählt; alle Mitglieder werden zu ersten Vorsitzenden erklärt. 13 Uhr: erste Sitzung, Tagesordnung: Wahl eines zweiten Vorsitzenden und eines gewöhnlichen Mitgliedes.

Bis hierher erst mal, meine Damen und Herren. Der Erfolg hat viele Väter, heißt es. Angesichts des Booms hat man in Goslar schnell die alten Unterlagen vernichtet: die mit den ungünstigen Prognosen. Keiner will es gewesen sein, keiner will auch das Berger-Gutachten in Auftrag gegeben haben, Titel: „Die Bedeutung des Sitzens für die geistige Beweglichkeit“. Und der Verwaltungsbeamte will den Spruch nicht gemacht haben, den doch alle gehört haben; wie hatte er gesagt: „Nicht Politik und Verwaltung kommen zu spät – die Probleme kommen zu früh!“ Keine Rede mehr von so etwas.

Übrigens: die Erfolgsgeschichte geht noch weiter:

Montag, 18. November.

Der Ministerpräsident zieht nach Goslar um. Begründung: „Ich will da sein, wo die Gewinner leben“.

Am Tag darauf siedelt der Goslarer Oberbürgermeister von Goslar nach Hannover um, Begründung: „Die haben jetzt einen Seelsorger nötiger!“ Auch Sigmar Gabriel lässt den Umzugswagen kommen: „Man braucht mich jetzt in Osnabrück!“

Apropos Ministerpräsident! Kennen Sie den?! Ein Ministerpräsident – ich sage ausdrücklich „ein“ und sage auch nicht, in welchem Bundesland! – , also: ein Ministerpräsident darf wählen: Himmel oder Hölle. Er schaut sich beides an. Himmel: langweilig, öde, nichts los. Hölle: Fete, Party, Stimmung. „Klare Sache!“, sagt er zu Petrus, „Ich wähle die Hölle!“ „OK“, antwortet Petrus, „komm morgen früh!“ Am nächsten Morgen betritt unser MP die Hölle – und kriegt einen Schreck: Schwefel, Hitze, Feuer, Schreie ... Er beschwert sich bei Petrus: So haben wir nicht gewettet, das war doch gestern ganz anders!“ „Stimmt“, sagt Petrus“, „gestern war vor der Wahl!“

Das Marketing regiert die Stadt,
durch Werben erst wächst die Region.
Es zeigt, was sie an Schätzen hat,
erwirbt sich damit teuren Lohn.
Doch all ihr Leute, passt gut auf,
denn Goslar setzt noch einen drauf!

Glückauf!