<< Reformationsfest – Römer 3,21-28; Matthäus 5,1-10 - Inhaltsübersicht Buß- und Bettag – Lukas 13,1-9 >>

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres – Matthäus 5, 13-16 -

Ratsgottesdienst am 11. November 2007

Herzlich willkommen in der Marktkirche! Wir feiern Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, des einen Gottes. Amen

„Haupt- und Ratskirche“, so wird sie immer wieder bezeichnet, die Marktkirche. Zahlreich sind die Bezüge zwischen dieser Kirche und dem Rat der Stadt Goslar; Rathaus und Kirche sind räumlich aufeinander bezogen. Wie eng die Beziehung war, können Sie auf dem Liedblatt sehen: Stufen, eine Tür: da gingen einst die Ratsherren durch! Sie hatten eine Treppe und eine eigene Empore. Heute ist diese Tür nur noch außen – eine Art Scheintür. Das soll sie aber nicht im übertragenden Sinne sein! Als Mitglied des Rates kann man natürlich auch ganz normal durch den Haupteingang kommen ...

Im Jahre 2001 haben wir begonnen, diese historische Beziehung wieder in den Blick zu nehmen – das war anlässlich der 850-Jahr-Feier: seitdem feiern wir Ratsgottesdienste – immer am dritten Sonntag vor dem 1. Advent, also: vor Volkstrauertag. Heute nun der erste Ratsgottesdienst der neuen Ratsperiode. Ich freue mich, dass Mitglieder des Rates und der Verwaltung gekommen sind und begrüße Sie und Ihre Angehörigen, an der Spitze den Herrn OB und seine Frau. Genauso herzlich begrüße ich alle anderen, auch die Gäste unserer schönen Stadt.

Aber nun zu unserem Text:

Salz, Licht, Stadt auf dem Berge. Ganz einfache Bilder. Salz ist dazu da, dass es salzt. Licht ist dazu da, dass es leuchtet. Die Stadt steht auf dem Berg, damit man sie sieht. Und das alles passiert, ohne dass noch etwas zusätzlich getan werden muss. Weil es Salz ist, würzt es die Speisen. Weil es Licht ist, macht es hell. Weil sie auf dem Berg gebaut ist, ist die Stadt von weither sichtbar... Wir haben das Evangelium gehört. Ein Text aus der Bergpredigt, von Jesus. Drei Bildworte: Jesus schaut die Leute an, die da am See Genezareth zusammen gekommen sind und sagt: „Das seid ihr!“ Salz, Licht, Stadt auf dem Berge. Weil es euch gibt, kommt Gottes Wille mit dieser Welt zum Zuge. Weil ihr euer Licht leuchten lasst, können die Menschen euren Vater im Himmel preisen. Einfacher: darum geht es ihnen gut.

Aber was heißt hier: am See Genezareth?! Der ist weit weg – und das Ganze ist lange her. Wir sind in Goslar, in der Marktkirche – und haben das Jahr 2007. Ihr seid Salz, Licht, Stadt auf dem Berge! Ihr tut gute Werke. Euretwegen preisen die Menschen Gott... Wie klingt das? Zu steil? Mal langsam, denkt jetzt vielleicht der eine oder die andere... Jetzt werde ich hier vereinnahmt. Sicher, ich bin bereit, mich für die Allgemeinheit einzusetzen,... ich vertrete Werte, ich setze mich für Menschenwürde und gerechten Ausgleich zwischen allen ein... Aber dazu brauche ich nicht das Wort „Gott“ im Munde zu führen... und ob die Menschen „den Vater im Himmel preisen“ – wie es da in der Bibel steht, das ist deren Sache... ich versuche einfach, mein Bestes zu geben, als Mutter oder Vater, als Mitglied des Rates, als Kirchenvorsteherin, als ehrenamtlich Tätiger.. als Mensch eben.

Nirgends steht, dass ich immer dazusagen muss, warum ich etwas tue. Keine Rede im Matthäus-Evangelium, dass ich ständig sagen muss : ich glaube an Gott; oder: ich tue das, weil ich Christ bin o. ä... . Davon, dass wir unsere guten Taten auch kommentieren sollten, hat Jesus nichts gesagt. Salz würzt. Licht leuchtet. Und die Stadt auf dem Berge sieht man ... Man muss nicht darüber reden; das alles ist da.

Trotzdem, daran führt kein Weg vorbei: Goslar ist eine religiös geprägte Stadt! Das gilt schon für die alten Hauptbauten: Pfalz und Stiftskirche. Heute ist Geburtstag von Heinrich IV; ihm verdanken wir vieles davon. Eine ganz enge Verzahnung von Staat und Kirche. Und dann die 47 Kirchenbauten der Stadt – 20 sind erhalten. Eine Gottesstadt, das Heilige Jerusalem, die „Stadt auf dem Berge“. Die wichtigsten Kirchen waren in Kreuzform in den Stadtgrundriss eingefügt, andere bildeten einen Kirchenkranz, alle zusammen schufen das Idealbild einer civitas dei – Stadt Gottes. Goslar – gedacht als „Stadt auf dem Berge“,... (auch wenn wir wissen, Goslar liegt nicht auf dem Berg, sondern am Berge... )

Die Alten haben sich etwas dabei gedacht! – Und dank ganz außergewöhnlicher Verschonung ist das im Wesentlichen so erhalten geblieben. Ein Kreuz aus Kirchen und einige der fehlenden sind in den Neubaugebieten wieder erstanden: St. Georg, St. Peter, St. Johannes. Und dazu später: das Rathaus – eng bezogen auf den Grundriss dieser Kirche! Ein großartiges Ensemble – in der Mitte die Marktkirche! Hier, im Mittelpunkt dieses Kreuzes, fand sich die geistliche und weltliche Obrigkeit ein, um das Leben in dieser Stadt zu ordnen. Seit der Reformation wurde St. Cosmas und Damian Hauptpfarrkirche. Der Rat übernahm die ehemals kirchlichen Aufgaben wie Armen- und Krankenpflege, die Schulbildung etc. ... Dazu brauchte der Rat ein Leitungsgremium. Und so bildete er das geistliche Konsistorium (gibt es noch heute!), bestehend aus dem Stadtkirchen-Superintendenten, den vier Pfarrherrn zu Stephani, Frankenberg, Jakobi und Thomas, einem Ratsmitglied und einem Notar. Tagungsort war der Anbau hier an der Nordseite (nach Griep das älteste evangelisch-kirchliche Amtsgebäude überhaupt!).

Zahlreiche Bezüge sind überliefert, so der Wahlvorgang. Die Namen der gewählten Ratsleute gab der Kämmerer in der Frühmette der Marktkirche bekannt. Überliefert ist auch der Ratseid. Darin werden die Grundwerte betont: etwa, dass Arme und Reiche gleichermaßen den Schutz der Stadt genießen. – Diesen Ratseid hat Herr Dr. Lauterbach vorgelesen.

Natürlich ist dieser enge Zusammenhang zwischen Rat und Kirche Vergangenheit. Es hat die Säkularisierung gegeben. Viele Verquickungen waren nicht gut. Kirchenobere haben sich in die Politik aktiv eingemischt, weltliche Herrscher haben sich geistlicher Funktionen bemächtigt. Auch das hat viel mit Goslar zu tun: Heinrich IV., Canossa ... Von einer Kirchenherrschaft der Stadtobrigkeit, wie es sie seit der Reformation gab, ist heute keine Rede mehr, Gott sei Dank. Und der Propst mischt nicht in der aktiven Politik mit ...

Wir unterscheiden heute zwischen Glaube und politischer Verantwortung. Und das ist gut so. Ein Staat oder auch eine Kommune dürfen nicht den Anschein erwecken, sie seien eine Art religiöses Gebilde und damit unantastbar und unveränderbar. Und auch die Kirche wird so vor Irrtum bewahrt. Christen haben politische Verantwortung, natürlich. Aber sie wissen nicht einfach alles besser. Aus der Botschaft des Evangeliums lässt sich keine Beschlussvorlage für den Rat formulieren. Es gibt keine allein dem Glauben angemessene Handlungsweise – und Christen haben keine andere Vernunft zur Verfügung als Nicht-Christen.

Wie sinnig: als man die Ratsprieche/Empore 1938 beseitigte, da tauchten die Zehn Gebote als Fresko auf. Die Ratsherren hatten, ohne es zu wissen, immer die Zehn Gebote im Rücken... gut so, und ganz im Sinne Luthers: “Die Zehn Gebote gehören zuerst aufs Rathaus und dann in die Kirche.“ Wir unterscheiden also heute zwischen Glaube und politischer Verantwortung. Aber wir trennen nicht. Wir erkennen: wo jemand sich einsetzt für das Gemeinwohl, da ist er oder sie Licht und Salz... Wo jemand sich als Teil des Ganzen erkennt, da ist Ermutigung, Dank und Wertschätzung am Platze, unabhängig davon, ob die Motivation christlich oder anders begründet ist ... ein Weltkulturerbe!

Es gibt Maßstäbe. Die wollen wir uns als Kirche anlegen – und mit denen sind auch staatliche oder städtische Entscheidungen zu prüfen: Ist Religionsfreiheit gewährt? Freiheit ist immer auch die Freiheit des anders Denkenden und Glaubenden. Werden die Grundüberzeugungen des christlichen Glaubens respektiert? Passen die angestrebte soziale Gerechtigkeit und die in der Bibel angestrebte Nächstenliebe zusammen? Entscheidend für das christliche Menschenbild ist: Der Mensch kann sich seine Würde weder durch Eigenschaften noch durch Leistungen sichern. Die Würde des Menschen gründet ausschließlich in der gnädigen Zuwendung Gottes.

Daraus folgt: Vieles ist mit christlichen Werten unvereinbar: Wo andere diskriminiert und verachtet werden. Wo Gewalt gegen Ausländer geübt wird – verbal oder körperlich, wo die Nation vergötzt wird, wo Recht gebeugt wird, durch Geld Einfluss erlangt wird. Das sind die gemeinsamen Fundamente von Staat und Kirche, von Rat und Kirchenvorständen. Ohne Gerechtigkeit kein Friede: das ist eine grundlegende biblische Überzeugung. Auf dieser Basis hat die Propsteisynode Goslar einstimmig den Aufruf gegen Rechtextremismus unterstützt.

Bei aller Unterscheidung zwischen Politik und Glaube: Dieser Raum hier macht uns allen ein Angebot: Sich auf die eigene Tradition besinnen ... die eigenen Quellen finden; das geht hier... das haben Menschen Jahrhunderte lang getan, auch die politisch aktiven... und auch heute strömen fremde Menschen busweise in diese Stadt, ins Rathaus und in diese Kirche (jedes Jahr über eine Viertelmillion). Gut, dass Sie heute gekommen sind! Auch wenn die Ratstür nur noch von außen sichtbar ist. Die Tür dieser Kirche steht weit offen, in beiden Richtungen! Seien Sie Licht und Salz dieser Stadt und pflegen Sie die einzigartigen Wurzeln dieser Stadt auf dem Berge!