<< 11. Sonntag nach Trinitatis – 2. Samuel 12,1-15a Inhaltsübersicht Reformationsfest – Römer 3,21-28; Matthäus 5,1-10 - >>

21. Sonntag nach Trinitatis – Epheser 6,10-17

24. Oktober 2010

Das Böse überwinden, liebe Gemeinde: der große Menschheitstraum. Um das Böse zu überwinden, sind Kriege geführt, unzählige Menschen getötet, Religionen gestiftet und Bibliotheken voller Bücher geschrieben worden. „Das Böse überwinden“: ein Ideal zu allen Zeiten, eine Hoffnung, eine Sehnsucht.

In vielen Kirchen sieht man den Apostel Paulus stehen, bewaffnet mit einem Schwert. Früher – seit 1849 bis 1989 – auch hier am Altar… Paulus und das Schwert – scheinbar ein Symbol für einen kämpferischen Glauben.

Wir wissen natürlich: anfangs war an bewaffneten Kampf für den Glauben überhaupt nicht zu denken. Christen waren eine verfolgte Minderheit im römischen Staat – fast 300 Jahre lang. Damals wusste man noch: „das Böse überwinden“ – das war keine Sache eines gewöhnlichen Krieges; da hatte man es nicht mit „Fleisch und Blut“ zu tun; bekennen, leiden, durchhalten – das waren die Mittel, Märtyrer gab es zu beklagen, nicht Kriegshelden zu bewundern. 700 Jahre hat es dann gedauert, bis ein Heer von Kreuzrittern sich mit Waffengewalt das „Königreich von Jerusalem“ erkämpfte – ein Massaker, erbarmungslos; kein Moslem, kein Jude blieb am Leben – und noch am gleichen Tag beteten die Krieger überglücklich am Heiligen Grab.

Warum erzähle ich das? Nun, der heutige Predigttext scheint eine Vorlage zu bieten für das Vorgehen der Kreuzritter – und scheint das passive Erdulden der Märtyrer als schwächlich zu entlarven. Der Text steht im Epheserbrief, Kapitel 6, ich lese zunächst die Verse 10-13:

Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke.
Zieht an die Waffenrüstung Gottes,

damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels.
Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen,
sondern mit Mächtigen und Gewaltigen,
nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen,
mit den bösen Geistern unter dem Himmel.
Deshalb ergreift die Waffenrüstung Gottes,
damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten
und alles überwinden und das Feld behalten könnt.

Zum Kampf wird da geblasen! Und niemand meine, das sei Vergangenheit! Bis heute gibt es Prediger – ich nenne sie mal „christliche Hassprediger“ – die mit solchen Bibelversen Krieg und Gewalt rechtfertigen. Präsident Bushs „Kreuzzug gegen das Böse“ mit 100.000 Toten – er ist nicht zu Ende, – und gerade gestern hören wir wieder von bisher verborgenen Verbrechen im Irak.

Was der amerikanische Präsident offen sagte, ist für manch anderen „christlichen“ Politiker stille Leitlinie…, man fühlt sich berechtigt, das eigene Weltbild mit Gewalt durchzusetzen – das angeblich „abendländische“, christlich-jüdische… und nimmt dabei auf solche Texte Bezug: „Ergreift die Waffenrüstung Gottes“… Heiliger Krieg…

Aber das ist nicht der einzige Missbrauch, den dieser Text erleidet; und es ist nicht das einzige Missverständnis, dem er unterliegt. Da ist ja von „bösen Geistern“ die Rede, von den „Herren… der Finsternis“, vom „Teufel“. Das sind Begriffe, die befremdlich klingen. Sie scheinen aus einem überholten Weltbild zu stammen und heute nichts mehr zu bedeuten: Mythologie eben, Antike… Ja, manch ein kritischer Zeitgenosse triumphiert an dieser Stelle: da sieht man’s ja: die Bibel ist ein überholtes Buch, sagt mir nichts, geht mich nichts an…

So zynisch wird er aber nur reden, bis ihn das Leben anpackt: das Leben mit seinen dunklen Seiten, mit dem, was nicht verstehbar ist, was ungerecht erscheint. Dieses Böse, dieses Zerstörerische, – es existiert sehr wohl. Nicht als alberne Gestalt mit Hörnern und Pferdefuß: das ist eine Verharmlosung! Das Böse tobt sich aus innerhalb unserer ganz normalen Lebensbezüge. In der Art, wie wir leben – und das für normal halten; im hemmungslosen Gewinnstreben, in den nicht enden wollenden Verheißungen unserer Kultur und unseres Wohlstandes. Der Teufel geht „methodisch“ vor! Ja, der Text spricht von „Methode“ – ein griechisches Wort.

Methodisch werden wir daran gewöhnt, Ansprüche an das Leben zu stellen… mit der Folge, dass wir unzufrieden werden. Krankheit und Leiden – eigentlich wissen wir: sie gehören zum Leben dazu – uns wird eingeflüstert, dass sie ein Unrecht sind, vielleicht sogar: ein Unrecht, das uns Gott zufügt. Einflüsterungen des Bösen…, Phantasien einer eigentlich heilen Welt, die mir zusteht, die ich einklagen kann… und nicht erreiche… mit schlimmen Folgen: Depression kann das sein, Zynismus, Abkehr von den Menschen – oder gar vom Leben… die „Methoden des Teufels“… ein top-aktueller Text!

Und kaum haben wir das erkannt – haben wir quasi diesen Dreh durchschaut, tappen wir in die nächste Falle – und damit meine ich das dritte große Missverständnis bei diesem Text.

Das erste war: Waffengewalt / kriegerische Auseinandersetzung im Namen des Christentums, gestützt durch solche Texte wie Epheser 6.

Das zweite war: Verleugnung der Existenz böser Mächte in unserer Welt. Und nun kommt das am raffiniertesten eingefädelte Missverständnis:

Schreit das Ganze nun nicht danach, dass wir uns aufraffen, uns zusammenreißen, alle unsere Kräfte mobilisieren, um dem Bösen zu widerstehen – nicht durch Krieg, aber durch unsere Fähigkeit, durch guten Taten?... Scheint logisch und nötig – und ist in dieser Form doch der größte Sieg des Bösen!

Erinnern Sie sich an Luthers Lied – in einer Woche singen wir’s! „Eine feste Burg ist unser Gott“?! Da heißt es in Strophe 2: „Mit unsrer Macht ist nichts getan“! Mit unserer Macht ist nichts getan! Das ist nicht ein schöner, eingängiger Spruch; das ist tiefste theologische Erkenntnis! Luther hat das ja erlebt. Er hat es mit eigenen Mitteln versucht. Wallfahrten und Fasten, Mönch werden, gute Werke tun, sich geißeln, alles…

Die ganze Richtung ist falsch!

Ja, falsch ist es, aus dem Text solche Appelle herauszuhören; auch wenn da steht: „Seid stark“, „ergreift die Waffenrüstung“!... Falsch ist das, weil so etwas suggeriert wird. Wir bilden uns ein, als hätten wir die Fähigkeit, gegen das Böse zu kämpfen. Das klingt jetzt vielleicht schlimm – aber es ist die Pointe des Textes, ja des Neuen Testaments!

„Das Böse“ erschöpft sich nicht im Zustand der Welt / unserer Gesellschaft, – so wie wir sie gerade vorfinden oder verstehen. „Das Böse“ – das erschöpft sich auch nicht in der Summe misslungenen menschlichen Tuns!

Wo ich das glaube, erliege ich (siehe Text) den „Methoden des Teufels“. Deswegen sagt Luther solche scheinbar lustigen Sachen: man solle den Teufel täglich in der Taufe ertränken; aber das Biest könne schwimmen… Das Dunkle des Lebens ist hintergründiger und rätselhafter als ich ahne. Es reicht nicht, sich irgendwie anders zu verhalten, sich darauf einzustellen… Dann bestünde das Leben eines Christen darin, sich anders, besser zu verhalten als andere… diese Forderung aber finden Sie überall, in allen Religionen – aber auch im gesunden Menschenverstand. Nur – es reicht nicht…

Was also? Nun, der Text sagt: der Kampf geht nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut. Der Kampf hat kosmische Dimensionen. Wir spüren das ja manchmal. Wenn der Tod in das Leben einbricht. Natürlich kann man alles Erdenkliche tun, um zu helfen, da zu sein… Aber dem Tod selber haben wir nichts entgegen zu setzen. Und wie groß ist die Gefahr, dann alles für sinnlos zu halten, oder zu verzweifeln, aufzugeben… Das Dunkle greift an.

Die Antwort im Epheserbrief – Verse 14-17:

So steht nun fest,
umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit

und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit
und an den Beinen gestiefelt,
bereit einzutreten für das Evangelium des Friedens.
Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens,
mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen,
und nehmt den Helm des Heils
und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.

Widerstand gegen das Böse, jawohl!

Aber nicht mit unseren menschlichen Mitteln. „Mit unsrer Macht ist nichts getan!“ Der Kampf ist für uns selber eine Nummer zu groß! Darum: eine Rüstung anziehen – ein Bild, eine Metapher – die „Waffenrüstung Gottes“ – und jetzt kommt’s: defensiv!

Ja! Der eigentliche Waffengang ist bereits erfolgt! Jesus Christus hat die Mächte der Finsternis besiegt. Das hören wir am Anfang des Epheserbriefes. Und warum kämpfen wir dann noch? Genau die richtige Frage!

Mit unserem Kämpfen entfachen wir stets neu, was längst besiegt ist… Mit irdischen Waffen kann man gegen das Böse nicht kämpfen. Aber wir tun so, als sei unser Kampf für das Gute das Entscheidende. Immer noch geht die Menschheit davon aus, mit weltlichen Mitteln die Todeswelt besiegen zu können – und bringt Tod hervor, massenhaft.

Stattdessen: Widerstand leisten durch eine Ausrüstung, die Gott selber zur Verfügung stellt:

Ich wiederhole den Text mit anderen Worten:
– als Gürtel die Wahrheit – sie hat in Gott ihren Ursprung
– als Brustpanzer die Gerechtigkeit – sie beruht auf Gottes Wirken
– als Stiefel die Bereitschaft, das Evangelium des Friedens auszurichten: Christen sind ständig auf dem Sprung, Frieden zu stiften – Liebet eure Feine! Suchet der Stadt Bestes!
– als Schild: den Schild des Glaubens, das ist: Vertrauen in, mit und unter allen Anfechtungen.

Alles Defensiv-„Waffen“ – bis auf eine: Das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes. Die einzige offensive Waffe, die uns gegeben ist, ist das Wort, das Wort Gottes. Das natürlich ist das Schwert, das Paulus in der Hand hält! Nicht ein Schwert aus Metall, keine Rakete, keine Bombe.

Luther: „ein Wörtlein kann ihn fällen“, ihn, den „altbösen Feind“. Dieses Wort ist nicht irgendetwas; es ist die Botschaft von Jesus Christus, von seinem Sieg über die Mächte.

Wer mit seinen eigenen Möglichkeiten am Ende ist, kann hier neu anfangen. Wer erkannt hat: mein Kampf gegen das Dunkle hat sich erschöpft, findet hier neue Stärke.