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11. Sonntag nach Trinitatis – 2. Samuel 12,1-15a

3. August 2008

Da lacht das Herz eines 68ers, liebe Gemeinde! Das ist ein Thema, so richtig nach dem Geschmack von Leuten, die vor 40 Jahren erwachsen wurden – ich zähle dazu… Kürzlich gab es ja eine Serie in der Goslarschen Zeitung über „die 68er“. Ziemlich missglückt, wie ich finde. Da wurden die falschen Leute gefragt; den Journalisten ging es um Sensationen: … gibt es Goslarer, die damals gehascht haben, der freien Liebe huldigten, mit Terroristen in der WG lebten? Ziemlich daneben! Es ging um etwas ganz anderes damals! Um was? Ich empfehle den Predigttext für heute. Frau Dreitzner hat ihn vorgelesen. Eine Enthüllungsstory à la: „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren!“

Damit waren vor 40 Jahren z. B. Professoren gemeint…, würdige ältere Herren um die fünfzig / sechzig (so wie ich heute). Die waren stolz bis hochmütig in ihren Positionen: Professor, Rektor der Universität, Staatssekretär, Minister – was auch immer. Ihre hohe Position schien sie unangreifbar zu machen. Was sie vergessen hatten – jedenfalls viele von ihnen, dass sie 25 Jahre davor ein mörderisches System geduldet, unterstützt hatten, ja, teilweise sogar führende Nationalsozialisten gewesen waren… – und das verschwiegen, verdrängt hatten, klein redeten…

Und gleichzeitig fand erneut ein mörderischer Krieg statt – Vietnam; ungerecht, völkerrechtswidrig, wie heute alle wissen. Keine Angst – ich halte jetzt keine politische Rede. Aber mit Politik hat er eben doch zu tun, der Predigttext. Erinnern Sie sich? „Du bist der Mann“ – hieß die Pointe. Nathan ist bei David. Gott selber hat ihn dort hingeschickt, so berichtet der Text. Zu David: dem großen König Israels, damals auf der Höhe seiner Macht! Was der nicht ahnte: Nathan, das war so einer, der das aussprach, was man gern verschwieg, verdrängte, klein redete…; er machte das allerdings sehr geschickt. Er erzählte erst einmal eine Geschichte: Die handelt von zwei Männern, einer reich, einer arm.

Der Reiche hat viele Tiere – aber die bedeuten ihm nichts anderes als bloßen Besitz. Der Arme dagegen hat nur ein kleines Schäflein, das er wie eine Tochter großzieht. Der Reiche bemächtigt sich brutal des einzigen Tieres des Armen und gibt es seinen Gästen zur Speise. Wen würde das nicht empören, liebe Gemeinde. Und so passiert es, wie Nathan das geplant hatte: David, der große König, ist empört. Und spontan tut er das, was auch sonst seines Amtes ist: er spricht ein Urteil. Todesstrafe für den Reichen, vierfacher Ersatz für das weggenommene Schaf. Ein Herrscher, ein Richter, ein bedeutender Mann, gottähnlich, entscheidet über Leben und Tod. Wir spüren, worauf es hinausläuft: da glaubt einer, sein Amt mache ihn unangreifbar; er selber stehe nicht zur Debatte. Sein Königsmantel, sein Zepter, seine Krone machten ihn quasi immun.

Und natürlich fallen einem endlose Parallelen ein zur heutigen Zeit: In Italien manipulierte ein Staatschef so lange an den Gesetzen rum, bis er selber nicht mehr anklagbar ist. In Amerika wird ein quasi gesetzesfreier Raum geschaffen und so Folter „legal“. In Deutschland werden Millionen so lange hin- und hergeschoben, bis sie als Bestechungsgelder bei Managern ankommen oder in Liechtenstein der Besteuerung entzogen werden. Es soll ja keine politische Rede werden, sondern eine Predigt bleiben – nicht ganz einfach bei diesem Text! Denn jetzt kommt’s ja erst! „Genüsslich“ hat sich Nathan das angehört: der große König hat sein Urteil gesprochen. Was er nicht gemerkt hat: es war sein eigenes, er hat sich gerichtet!

„Du bist der Mann! Uria hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen…“ Das ist die Sache mit der schönen Batseba. „Der Talar wird hochgehoben“, der Muff wird sichtbar/riechbar. Enthüllung! Du bist zwar ein bedeutender Mann, David. Aber damit kommst du von deiner Verantwortung nicht los! Das Gesetz, die Gebote – die gelten auch für dich! Du hast dein Amt von Gott bekommen, nicht aus dir selbst. Ihm bist du verpflichtet. Deine Königsmacht legitimiert dich nicht, dich über das Recht hinwegzusetzen. Im Gegenteil: du hast eine besonders hohe Verantwortung! Du hast für Gerechtigkeit zu sorgen. Du bist zuständig für den Schutz der Armen und der Benachteiligten! Aus nichts anderem besteht dein Amt! Alles andere ist Anmaßung!

Das ist nun alles gar nicht überraschend, liebe Gemeinde. Auch David war das schon vorher klar! Sein Urteil hatte das ja gezeigt: schuldig! hatte er geurteilt gegenüber dem Reichen. Dessen Schuld war: seinen Reichtum nicht als Geschenk zu verstehen, mit dem er anderen helfen konnte. Er hatte seinen Besitz als etwas ihm wesenhaft Zustehendes angesehen, als unverbrüchliches Recht – und die anderen hatten in ihrem Elend zu verbleiben… David wusste, alle wissen das, die Professoren und Politiker 1943 und 1968 wussten es, die Manager und Staatslenker heute wissen das… wir wissen das…

Also was?

„Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den Herrn. Nathan sprach zu David: So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben:“ Gerecht gesprochen! „Gerecht“ ist, wer „demütig“ dasteht. Einsicht, Schuldbekenntnis, Reue, Umkehr – wie schwer ist das! Wie sehr hätten wir uns das seinerzeit gewünscht – 1968, als wir auf die Straße gingen, als Eltern und Lehrer die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts totschwiegen. Aber mehr noch: beim Blick auf das eigene Leben stoße ich selber auf solche blinden Flecken, auf Verdrängtes, auf Verschwiegenes…, spüre, wie schwer dieser Schritt ist, zu sagen: „ich habe gesündigt gegen den Herrn“. David hat das geschafft; er, der König! Dieser schuldbehaftete Mann, er wird zum Vorbild.

Der König: kein besserer Mensch, nicht das unangreifbare moralische Vorbild – aber einer, der erreichbar bleibt von Gottes Anspruch und von Gottes Zuspruch! Vom Umgang mit eigener Schuld! Das ist das Thema. In der Verkündigung Jesu wirkt das fort. Auch er hat solche provozierenden Geschichten erzählt wie Nathan. Eine davon hat Herr Düspohl vorgelesen: Pharisäer und Zöllner. Der seine stellt sich hin und erklärt Gott, was für ein toller Mensch er ist: hält alle Gebote, fastet, gibt Almosen. Der andere schlägt sich reuevoll an die Brust und sagt: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“. Und Jesus sagt: „gerechtfertigt“ ist der zweite, der Sünder. Nicht, weil er sündigt, sondern weil er anerkennt, wer er ist…

Gerecht gesprochen! „Gerecht“ ist, wer demütig dasteht. Schuldig macht sich der erste: der präsentiert seinen Leistungskatalog und erwartet Anerkennung dafür. Den anderen verachtet er. Der erbarmungslose Reiche / der selbstgerechte Fromme: sie machen sich schuldig. Der schuldbeladene König / der betrügerische Zöllner: sie werden freigesprochen. Da haben wir es wieder: Evangelium pur! Ein Freispruch, den wir uns nicht selber geben können – selbst wenn wir König oder Königin wären.

Hier im Gottesdienst feiern wir diesen Freispruch. Sichtbar im Abendmahl, in diesem Kreis um den Abendmahlstisch herum.
„… für euch vergossen zur Vergebung der Sünden.“ Da stehen wir, alt oder jung, reinen Herzens oder voller Skrupel, wohlhabend oder in wirtschaftlicher Not – und nehmen Gottes Geschenk dankbar an: „für dich gegeben!“ Nicht weil wir es verdient hätten – das wäre hochmütig; sondern: demütig. Also im Wissen darum: Gott selber ist es, der uns beschenkt und freispricht.