Ostermontag – Lukas 24,13-35
13. April 2009
Die Emmausjünger! Da sind sie mal wieder als Predigttext! Eine der schönsten Auferstehungsgeschichten. Herr Düspohl hat sie vorgelesen. Ein ziemlich langer Bibeltext! Und dazu ein sehr kunstvoll gestalteter. Das kann man beim Hören gar nicht so recht mitbekommen, wie da in vier „Schleifen“ erzählt wird, quasi vorwärts und dann wieder rückwärts …
Die Geschichte beginnt mit dem Aufbruch von Jerusalem nach Emmaus. Nebenbei lernen wir gleich etwas: Jesus hatte mehr Jünger als die verbliebenen Elf, hier sind zwei weitere: ein gewisser Kleopas und einer ohne Namen …
Die beiden wandern und unterhalten sich dabei über die jüngsten Ereignisse – sprich über Tod und Auferstehung Jesu. Und während sie sich so unterhalten, gesellt sich Jesus zu ihnen – unerkannt. Ihre „Augen waren gehalten“, gemeint: Gott wollte zunächst nicht, dass sie Jesus erkennen. Interessant: sie sind traurig! Dabei hatten sie kurz vorher gehört: er ist auferstanden! Jubel hatte das nicht ausgelöst, höchstens Verwunderung, oder Trauer, wie hier… Das leere Grab wurde ganz offenbar von den Jüngern – und auch noch in der frühen Christenheit – durchaus nicht als eindeutig erlebt. Es war kein Glauben erweckender Beweis für die Auferstehung Jesu! Und erst die Kreuzigung: sie galt nicht als „Sieg“, wie wir das heute gern sehen, sondern als Zusammenbruch aller Hoffnungen und Erwartungen! Wie menschlich! Wie verständlich!
Und dann kommt das Gespräch mit Jesus – den sie nach wie vor nicht erkennen. In diesem Gespräch kommen die Erwartungen der Zeitgenossen zur Sprache: Die Hoffnung auf die Befreiung Israels, die Hoffnung auf einen gewaltigen Messias der Tat, dass die Mächtigen vom Thron gestürzt werden, die Niedrigen erhöht, die Gefangenen befreit – so wie Maria das in ihrem Magnificat gesungen hatte …
Nichts davon! Das Kreuz hatte alle Erwartungen zerschlagen. Und wir dürfen das ja nicht nur innerhalb der Geschichte damals in Emmaus sehen. Wir müssen immer auch mit überlegen: warum wird das 50 Jahre nach dem Tod Jesu weiterhin so berichtet. Klar: weil das alles nach wie vor ein Problem war. Auch im Jahre 80 nach sah es im Prinzip nicht anders aus, im Gegenteil. Der Tempel war zerstört, Jesus hatte sich keineswegs als der Retter Israels erwiesen. War er überhaupt der Messias? Auch in der engsten Gemeinde gab es ärgste Zweifel!
Was war die Antwort? Nun, es war das, was Jesus hier in der Geschichte den beiden traurigen Jüngern sagt. Und das ist gar nichts Einfühlsames! Jesus macht den beiden Vorwürfe – und damit ja der Gemeinde um das Jahr 80 n.Chr. Unverständig seid ihr und abgestumpft, das wirft er ihnen vor. Und er legt einen Schriftbeweis vor: alles musste so kommen, wie es gekommen war. Genau so war es die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen, der Messias „muss“ leiden und auferstehen…und wir wissen: dieser „Schriftbeweis“ ist nicht leicht. Es gehörte nicht zu den gängigen Vorstellungen damals, von einem leidenden Messias zu sprechen… (Jes. 53). Interessant: die Gemeinde zur Zeit des Lukas war davon überzeugt: wir haben Kenntnis davon, wie Jesus selber sein Geschick im Spiegel des AT gesehen hat!
Und dann kommen sie in Emmaus an. Jesus tut so, als wolle er weitergehen. Aber die beiden laden den Fremden ein: „Bleibe bei uns Herr, denn es will Abend werden!“ Und er bleibt – immer noch unerkannt, bei den beiden Männern. Jesus nimmt die angebotene Gastfreundschaft an („Komm, Herr Jesus, sei unser Gast …“) – übernimmt aber sofort die Rolle des „Familienvaters“, d.h.: er nimmt das Brot, dankt und bricht es auseinander und gibt es ihnen. Erst daran erkennen sie ihn! (So geht es ja vielen beim Abendmahl: die Nähe Jesu ist da besonders spürbar.)
Und dann das Verblüffende: kaum ist er erkannt, wird er unsichtbar. Da hätte man sich doch nun eine angeregte Unterhaltung vorstellen können: Mensch, hast du uns einen Schreck eingejagt, das mit dem Kreuz und so… Aber nein: die Härte des Kreuzes bleibt, die Mehrdeutigkeit des leeren Grabes, die Unbeweisbarkeit der Auferstehung. Jesus ist erkennbar, aber nicht so, wie wir uns das wünschen. Beim Teilen des Brotes wird er erkennbar – und genau ab da wird er nicht mehr gebraucht, so scheint er das zu sehen.
Und dann kommt die Stelle, die Lukas besonders wichtig zu sein scheint. Denn er benutzt sehr gezielt ein wichtiges Wort. Er schreibt: „… und sie standen auf.“ Das klingt zunächst harmlos. Sie standen auf; klar, das Essen war zu Ende, Jesus war weg, also standen sie auf… Aber nicht vergessen: wir haben es mit Theologie zu tun; nichts ist zufällig. „Sie standen auf“, das sagt Lukas mit demselben Wort wie er es für die Auferstehung Jesu benutzt, also klingt es hier so wie „sie erstanden auf“. Sie haben Jesus im Abendmahl erkannt – und was folgte, war ihre Auferstehung! Sie er-stehen auf – und gehen zur Gemeinde, hier konkret: zurück nach Jerusalem, wo die Elf und all die anderen waren: die erste christliche Gemeinde.
Ein klarer Hinweis für die verunsicherten Christen zur Zeit des Lukas: euer Ort ist die Gemeinde, ist da, wo alles geteilt wird. Und tatsächlich: Lukas setzt ja seine Geschichte fort in der Apostelgeschichte. Die Erzählung von den Emmaus-Jüngern ist so etwas wie die Klammer zwischen der Zeit Jesu und der Zeit der Kirche. Wo Christen sich sammeln, da ist Christus gegenwärtig. Diese Gewissheit wird die Grundvoraussetzung für Kirche überhaupt.
Das Lukas-Evangelium wurde ja ca. ein halbes Jahrhundert nach Christi Tod und Auferstehung geschrieben…und von allen Seiten standen die Christen unter Druck. Man glaubte ihnen die Geschichte mit der Auferstehung nicht. Nicht, dass man Wundersames nicht für möglich hielt – aber jeder machte sich seinen eigenen Reim darauf. Ein Gespenst, sagten die einen: also etwas Gefährliches, Bedrohliches, das man los werden muss. Andere waren der Meinung, dass der irdische Jesus… überhaupt kein Mensch von Fleisch und Blut gewesen sei….eine Art „Schein-Leib“ habe er gehabt…(Abwertung der Inkarnation: es ist egal, was er als Mensch getan/gesagt hat). Gegen all solche Vorstellungen geht Lukas hier an.
Geht das, ist das sinnvoll? Warum insistieren all diese Texte so darauf, dass Christus „wahrhaftig“ auferstanden ist?
Man kann ja auch „eingängiger“ argumentieren, „gefälliger“, niedrigschwellig… und damit „Auferstehung“ zu etwas machen, was in unserer Erfahrung vorkommt.
Da gibt es zwei gängige „Modelle“: Auferstehung als Naturphänomen ist das erste. Im Frühling kommt Verborgenes hervor, „das Leben geht weiter“ – so in etwa müsse man sich Auferstehung vorstellen. Das andere Modell hebt auf die tägliche Erfahrung ab: stehen wir denn nicht jeden Tag wieder auf aus dem Schlaf, kommen wir denn nicht immer wieder von der Traurigkeit zur Freude – Auferstehung als etwas „normales“ im Leben, gut verstehbar, da täglich erlebbar.
Natürlich kann man das alles „Auferstehungs-Erfahrungen“ nennen. Man muss sich nur im Klaren sein: Im Evangelium ist etwas anderes gemeint. „Wäre Jesus nicht auferweckt worden, dann wäre meine Botschaft sinnlos“, sagt Paulus – und er fügt hinzu: „euer Glaube hätte keine Grundlage“! Das gilt! Es geht um alles oder nichts! Und darum werden in den Auferstehungsberichten immer wieder Zeugen angeführt. Hier bei Lukas sind es vor und nach der Emmausgeschichte alle Jünger. Paulus erwähnt im 1. Korintherbrief sogar 500 Menschen, die den auferstandenen Jesus auf einmal gesehen haben – und er setzt hinzu: die meisten dieser Augenzeugen leben noch!
Und so hat es einen tiefen Sinn, dass Jesus hier in dieser Geschichte selber deutlich macht, worauf es ankommt. Er, der grausam getötet worden war, lebt. Das ist anderes und mehr als die Erfahrung von „Werden und Vergehen“, mehr als das „Gefühl“, wieder zu Kräften zu kommen. Es geht um Leben und Tod. Und von hier aus wird das so wichtig, dass Auferstehung etwas jenseits unserer persönlichen Möglichkeiten ist. Sie fußt auf etwas außerhalb von uns. Erfahrungen von Glück, ja, von Neuanfang und Umschwung, sind möglich, weil sie ihre Quelle in Gott selber haben…
Tausenderlei will sich dagegen stemmen. All das Leid der Welt, all die persönlichen Krisen, Krankheit und Sterben – all das scheint zu sagen: Wir erfahren vorrangig ganz anderes… Siehst du, das ist die Wahrheit. Und die Kritiker rufen uns Christen zu: „wie könnt ihr von Auferstehung reden angesichts des Unheils der Welt?“ Aber Achtung! Andersherum „wird ein Schuh daraus“. Der schlimme Zustand der Welt hat etwas damit zu tun, dass Auferstehung nicht geglaubt wird!
Auch nach der Emmausgeschichte und nach dem Weg zurück in die Gemeinde nach Jerusalem war der Weg noch nicht zu Ende! Die Zweifel bohrten weiter, noch immer gab es enttäuschte Hoffnungen, noch immer waren die Mächtigen nicht vom Thron gestürzt, noch immer waren die Niedrigen nicht erhöht. In der Apostelgeschichte erzählt Lukas, wie es weiterging. Es musste erst das Pfingstfest kommen. Ein weiteres Mal musste die Aktivität von Gott ausgehen: die Ausgießung des Heiligen Geistes. Erst das verändert die Jüngerinnen und Jünger. Erst so werden sie Gottes Söhne und Töchter, wie es so schön heißt, Menschen, die stark genug sind zum Weissagen – so Petrus in seiner Pfingstpredigt.
Das hatte gefehlt! Die Gemeinde musste noch das Entscheidende erkennen: sie war dazu da, das befreiende Tun Jesu fortzusetzen – in seiner Kraft. Es reichte nicht, sich von Jesus das Brot reichen zu lassen, sich von ihm die Heilsgeschichte erklären zu lassen. Ein Weiteres musste dazu kommen. Dieses Aufstehen, diese Auferstehung, wie sie den Emmausjüngern geschenkt war. Dadurch gibt es sie, die Chance: dass Armen das Evangelium gepredigt wird, dass Hungernde satt werden und Erniedrigte erhöht. Nie war das so wichtig wie heute.
Auferstehen: das, was der irdische Jesus gesagt und getan hat, tun. Es bleibt in Kraft. Seine Worte sind frohe Botschaft und seine Taten sind dann auch Vorbild. Nächstenliebe und Feindesliebe werden zum Merkmal der Christen, Vertrauen bringt ihnen heilende Kraft.
Ja, wir sehen, wie krank die Welt ist mit all ihrer Raffgier, mit all den Kriegen und der Zerstörung. Dringend nötig: der Geist Jesu…
Und gerade darum: Weg muss all das, was uns den Zugang zum wahren Menschsein verschüttet! Als ob nur „wahr“ wäre, was wir für „möglich“ halten! Weg müssen all die Zweifel, all die scheinbaren Gegenbeweise… Wieso sollte das Elend in der Welt „wahrer“ sein als die Tatsache, dass Gott mich geschaffen hat? Ich bin Teil von ihm, du bist Teil von ihm! Jesus sagt: „Das Reich Gottes ist in euch!“ Wo wir uns von Gott getrennt sehen, wird uns zugerufen: Erkenne, dass du Teil von Gott bist; das Gefühl, von Gott getrennt zu sein, kommt daher, dass du anderes für wahrer nimmst, Leid, Elend. Wenn es „Ursünde“ gibt, dann diese: sich gedanklich, gefühlsmäßig trennen von Gott, anderes für „wahrer“ zu halten… es für nötig halten, sich erst um das andere zu kümmern (essen, trinken, Kleidung, Gesundheit…) statt heimzukehren zu Gott…, d. h. mich mit ihm eins zu wissen, untrennbar. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes, so wird euch solches alles zufallen!
Dann „mache“ ich nicht Erfahrungen, dann werden sie mir geschenkt, dann halte ich Auferstehung nicht für möglich (mit kühler ratio), sondern dann ist sie Ausgangspunkt für alles, auch für meinen Kampf um Frieden und Gerechtigkeit…und nicht mein Erfolg, meine Erfahrung ist die Auferstehung, sondern Auferstehung ist die Quelle.