Palmarum – Philipper 2,5-11
17. April 2010
Liebe Gemeinde, da hat der Paulus etwas angerichtet!
Einen wunderschönen Text überliefert er uns im Philipperbrief! Wir haben den vorhin gemeinsam gelesen – als Psalm; manche nennen ihn Lied, Bekenntnis, Lehrgedicht, Hymnus…, wie auch immer. Es ist ein ganz kostbares Stück frühester christlicher Überlieferung. Paulus zitiert dieses Textstück – ziemlich unvermittelt…
Wir wissen heute: dieser wunderbare Text wurde im Gottesdienst gesprochen – deklariert, feierlich, wahrscheinlich bei der Taufe…
Salopp gesagt: Die Gemeinde hob richtig ab, wenn sie diesen Text hörte, vielleicht gemeinsam deklarierte:
Er, der in Gottes Stand war,
nicht als einen Raub sah er an
das Gott-gleich-sein;
vielmehr machte er sich selber leer,
Sklavenstand annehmend,
den Menschen gleichartig werdend;
und, der Erscheinung nach sich wie ein Mensch zeigend,
erniedrigte er sich selbst vollends,
indem er menschlichem Geschick unterworfen wurde bis in den Tod hinein.
Darum auch hat Gott ihn in den höchsten Rang erhoben
und hat ihm verliehen den Würdenamen,
der über jeden anderen Namen erhaben ist,
damit angesichts dieses Ehrennamens Jesu
jedes Knie sich beugen müsse
aller himmlischen und irdischen
und unterirdischen Mächte
und damit endlich jede Zunge aller
geschaffenen Wesen lobpreisend bekenne:
„Herr ist Jesus Christus!“
und das alles zur Ehre Gottes des Vaters.
Ich habe das jetzt mal in anderer Übersetzung vorgetragen…
So was konnte man damals nur in verschlossenen Räumen sagen! Hätte das jemand draußen so gehört, da wäre was passiert: man hätte sie festgenommen, die Christen, wegen Aufruhr und Beleidigung des Kaisers…oder zumindest: man hätte sie für verrückt erklärt.
So ein Text gehört nicht auf die Straße! Das kann kein Mensch verstehen! Lächerlich muss es wirken! Da ist ein kleines Häuflein von Christen im römischen Reich – und die behaupten, dieser in Jerusalem Hingerichtete sei Herr der Welt! Allenfalls im „christlichen“ Mittelalter mit seiner gewalthaften Überstülpung („christliches Abendland“) konnte so was öffentlich gesagt werden – da aber als Proklamation weltlicher Macht…
Also ein großer Text, aber für „innen“. Schon jetzt, so das kleine Häuflein der Christen, schon jetzt sind wir des ewigen Heils gewiss! Der Gottesdienst-Raum, das christliche Haus – Kirchen gab es noch nicht – als „Schon“-Raum! Schon proklamieren wir den Sieg Christi, obwohl wir noch nichts davon sehen.
Ja, so hat das mal angefangen. Christus triumphiert über Mächte und Gewalten – seien sie irdisch oder mythisch – alles ist ihm unterworfen… ein atemberaubend jubelndes Lied der ganz frühen, der ersten Christenheit. Während die Welt „draußen“ dahin treibt, ist die Gemeinde – drinnen – schon jetzt Zeugin dafür, dass Christus die Herrschaft angetreten hat!
So – und jetzt komme ich hier mal runter. (Kanzel verlassen)
Der Apostel Paulus hat uns da eine schwere Nuss zu knacken gegeben. Ich meine gar nicht diese steilen Sätze, die er da zitiert – „alle Mächte müssen sich vor Christus beugen“… etc. – das mag man glauben oder nicht. Als Christen bekennen wir es – siehe Credo…
Nein, das Problem liegt ganz woanders. Und da tobt geradezu ein Streit unter den Auslegern dieses Textes… Das Problem ist der Zusammenhang, in dem Paulus dieses Lied, diesen Hymnus zitiert. Ich bin darum jetzt hier nach unten gekommen. Diesen „steilen“ Text – den man nur „von oben“ proklamieren kann, den wendet er in einem – ja – sachfremden Zusammenhang an. Jedenfalls so, dass es schlimme Folgen hatte für die Entwicklung des christlichen Glaubens!
Was macht Paulus? Er schreibt an die Gemeinde in Philippi. Die hatte er selbst gegründet im Jahre 50 n. Chr. – erste Gemeinde auf europäischem Boden! Der erste Christ in Europa ist übrigens eine Frau – Lydia! Paulus mahnt die Philipper zur Einheit: „seid eines Sinnes, habet die gleiche Liebe, seid einmütig und einträchtig… achtet aufeinander in Demut, achtet den anderen höher als euch selbst…“ – soweit, so gut; verständlich, nur so kann eine Gemeinschaft funktionieren.
Aber dann mit knapper Überleitung, quasi zur Begründung: „Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Jesus Christus entspricht…“ – „Er, der in göttlicher Gestalt war…“
Und dann zitiert Paulus dieses Lied, diesen Hymnus, den ich von dort oben gelesen habe, diesen „steilen“ Text, diese Proklamation der Herrschaft Christi über alle und alles…
Spüren Sie, wo das Problem liegt?! Für eine fast banale Selbstverständlichkeit zieht Paulus den steilst-möglichen Text zur Begründung heran. Er will eigentlich nur sagen: achtet einander, seht auf das, was dem anderen dient – und holt zur Bekräftigung den extremen Christustext heraus…
Warum ist das ein Problem?
Ich versuche ja, es durch meinen Ortswechsel deutlich zu machen. Dieses Lied, dieser Hymnus gehört nach „oben“, ist Bekenntnis. Jetzt kommt er nach „unten“ – und dient zur Begründung eines guten Verhaltens/Benehmens untereinander. Auf „theologisch“: aus einem christologischen Text wird ein ethischer.
Und das ist ein großes Problem. Denn jetzt wird etwas suggeriert. Jetzt entsteht der Eindruck: Wir können wie Jesus Christus sein. So, als böte dieses Lied eine Anleitung zu einem frommen Leben, zu einem gott-gefälligen Leben. So als sei die Demut, die wir untereinander üben sollen, völlig analog der Demut, die Christus zeigte, als er auf seinen göttlichen Status verzichtete.
Warum das so gefährlich ist? Dazu zwei Dinge:
Ich kann vor so hohen Idealen nur warnen! Wir verheben uns, wenn wir wie Christus sein wollen. Wir sind Menschen, nicht Erlöser dieser Welt. Zu hohe Ideale führen zum Ausbrennen und in die Depression oder zur Verzweiflung und zur Aggression. Die ethische Christusdeutung – eine Fehldeutung! Kein Wunder, dass der Idealismus – nicht zuletzt in Deutschland – diesen Text zu einer naiven Ethik verbogen hat: Jesus als Vorbild. Eine Überforderung für uns – und eine Abwertung von Christus.
Und das ist das zweite Gefährliche daran. Wir verraten geradezu unseren Glauben, wenn wir Nachfolge Jesu verengen zu der Aufforderung, „wie Jesus“ zu sein. Er war mehr – dieser Hymnus sagt es ja! Er war mehr, weil Gott ihn erhöht hat, weil er ihm einen Namen gegeben hat, der über alle Namen ist… das können wir nicht „nachmachen“! Weder verlangt das jemand von uns, noch sollten wir das versuchen.
Wenn wir den christlichen Glauben/den Glauben an Christus schrumpfen lassen zu einer „Gesinnung“, zu einer Haltung – sei es Anständigkeit, Demut o. ä., dann kommt mir das so vor, als verabschiedeten wir uns vom Entscheidenden. – Ein Vorbild: ja, das Aufzeigen einer Richtung: ja; – aber nie die Einzigartigkeit Christi aus dem Blick verlieren! Ganz Mensch werden – wie er, ja! Gutes tun wie er, ja, natürlich – was denn sonst?
Nur darf das andere, das Wesentliche nie verstummen! Dieses wunderbare, irgendwie tollkühne Lob Jesu Christi – gegen alles, was dagegen sprechen will.., dass er die Herrschaft bereits angetreten hat. Dazu haben wir nicht beigetragen, das ist sein Werk. Und das können wir mit der Gemeinschaft der ersten Christen hymnisch loben; das sollen wir auch – und das werden wir jetzt auch… und jetzt gehe ich wieder nach oben…
Und Sie schlagen bitte noch mal EG 760 auf… und ich lasse jetzt mal die ersten drei Zeilen weg – diese so missverständliche Einleitung… – und wir sprechen/bekennen es gemeinsam – stehend – und fühlen uns dabei den bedrängten ersten Christen in ihren Hausgottesdiensten verbunden:
Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich
und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Er erniedrigte sich selbst
und ward gehorsam bis zum Tode,
ja zum Tode am Kreuz.
Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben,
der über alle Namen ist,
dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,
die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
und alle Zungen bekennen sollen,
dass Jesus Christus der Herr ist,
zur Ehre Gottes, des Vaters.