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Estomihi – Markus 8,31-38

22. Februar 2009

Liebe Gemeinde, es geht lustig zu in diesen Karnevalstagen. In Köln, in Mainz, in Funk und Fernsehen, ja, vereinzelt sogar in Norddeutschland und hier in Goslar. Es wird gefeiert. Wie ein Endspurt ist das. Jede und jeder weiß: am Aschermittwoch ist das alles vorbei. Also lässt man es nochmal richtig knallen. Singen, Schunkeln, Trinken, Lachen, Verkleiden, Tanzen – was das Jahr über in Maßen passiert, hier ballt es sich zusammen, gesteigert, maßlos, exzessiv. Mit Grund! Man weiß: bald ist Schluss damit! – Das geht Hand in Hand mit dem Kirchenjahr! Der heutige Sonntag markiert diese kommende Wende bereits. Zwar ist noch keine Passionszeit. Noch sind die Paramente grün und nicht violett, noch gibt es kein Fasten und kein Verbot lauter Veranstaltungen. Und doch: der Blick geht schon auf das, was nun folgt. „Estomihi“ heißt der heutige Sonntag, das heißt so viel wie „sei mir ein starker Fels, Gott“. Eine Art Stoßgebet. Während ringsum noch alles in karnevalistischer Stimmung ist, kommt schon der Blick auf das, was folgt, darum: steh mir bei, Gott!

Natürlich drängt sich ein Blick auf die gesellschaftliche Lage geradezu auf! Es hat weltweit ins System eingeschlagen, das Donnergrollen kommt näher, erste Firmen gehen pleite, Genthe schließt, H.C. Starck wackelt…, die Regierung lässt es noch mal ordentlich krachen: Milliardenpakete …, alle ahnen: carne vale, „Tschüß, ihr fetten Zeiten“ – frei übersetzt…

Aber wir sind ja nicht hier, um uns die Tageszeitung vorlesen zu lassen. Wir wollen hören, was uns Gottes Wort zu sagen hat und möchten daraus Mut schöpfen für das Kommende. Was gibt es also zu sagen. Nun gut, die Passionszeit beginnt, da ist nichts dran zu ändern. Sie endet aber, das wissen wir, nicht mit Elend und Trauer, sondern mit Auferstehung. Ob das auch für die weltweite Situation gilt, für die Krisensymptome hier vor Ort, für die Arbeitslosigkeit und für die Kinderarmut? Ich weiß es nicht, ich bin kein Prophet. Ich weiß aber, dass Orientierung an Gottes Wort gut ist, ja, nötig. Und darum schauen wir mal hin, was da steht im Evangelium für heute. Wir haben es gehört: erste Leidensankündigung. Das wirkte bei den Jüngern wie ein Schock! Gerade erst hatte ja Petrus den entscheidenden Satz gesprochen: „Du bist der Christus!“ Er hatte das Wesen Jesu erkannt. Er war damit am Ziel seiner Hoffnungen und Wünsche angekommen. Seite an Seite mit dem Messias! Näher konnte man Gott nicht sein!

Und dann das! Jesus macht der Feierlaune jäh ein Ende. Er richtet den Blick nach Jerusalem. Dort werde ich leiden müssen, dort werde ich getötet. Dort werde ich am dritten Tage auferstehen. – Die Jünger begreifen nichts. Sie spüren nur: die Freude, die Hochstimmung ist plötzlich vorbei. Jesus kündigt etwas Schreckliches an. Ich werde leiden und man wird mich hinrichten. Sehenden Auges ins Verderben… , werde auferstehen …, das hat wohl keiner mehr gehört vor lauter Entsetzen.

Welch eine Enttäuschung. Bis dahin hatte der Weg mit Jesus wie eine schöne und abwechslungsreiche Sache ausgesehen. Mit dem Wunderrabbi unterwegs durch das Land, bestaunt ob der großartigen Reden und der spektakulären Wunder. Im Glanz dieser Lichtgestalt hatten sie sich sonnen können, die Jünger. Aber plötzlich: Schluss! „carne vale!“ Gut zu verstehen, dass Petrus seinen Meister empört zur Seite zieht: wie kannst du so etwas sagen! Du kommst doch prima an bei den Leuten, weiter so, wir alle haben was davon… – Gut zu verstehen. Das könnte ich sein! Wenn es so gut läuft, dann soll das kein Ende haben! Und wenn irgendwer die Krise abwenden kann, dann doch er, der Sohn Gottes! Er konnte doch Blinde sehend machen und Tote lebendig. Er würde doch eingreifen können in das Weltgeschehen…, wer denn sonst? Wir wollen doch leben und nicht leiden, schon gar nicht angekündigt! Wozu ist er denn da, der liebe Gott, wenn nicht dazu, Leid und Not von uns abzuwenden?! Ist er nicht der All-Mächtige?! Wer, wenn nicht er, kann die Ungerechtigkeit aus der Welt schaffen? Er muss uns doch bewahren vor dem Bösen, wenn wir uns eng an ihn halten …

Ja, der Petrus,… einer wie wir. Es hat schon Charme, wenn der höchste römische Repräsentant sich als seinen Nachfolger versteht… – „Verschaffe uns, verschaffe mir ein gutes Leben!“ Das ist der menschliche Wunsch schlechthin. In meiner Praxis als Pfarrer begegnet er mir in jeglicher Gestalt. Gott und Leiden, das scheint einfach nicht zusammen zu passen. Und wenn die Sache mit Gott überhaupt einen Sinn haben soll, dann doch die, dass er mir nützt. Leid geradezu ankündigen, ein Unding! Und damit sind wir wieder mal beim Gottesbild (tut mir Leid, aber einfacher ist es nicht zu haben…). Bonhoeffer hat gesagt: „Menschen gehen zu Gott in ihrer Not, flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot, um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod. So tun sie alle, alle, Christen und Heiden.“

Ja, es ist ein wunderschöner Traum. Dass da Gott mit einem Schlag alle Ungerechtigkeit beendet, Kriege in Frieden wandelt, mich gesund aufwachen lässt. Hier und da gibt es so etwas auch, die Hoffnung ist nicht ganz unbegründet. Aufs Ganze gesehen ist das aber eine Allmachtsphantasie, weit weg von der christlichen Gottesvorstellung. Wir predigen den gekreuzigten Gott, der in Jesus Christus Menschengestalt annahm – mit allen Konsequenzen. Nicht wir werden wie Gott, sondern er wird wie wir. Es braucht oft ein Leben, den Unterschied zu begreifen.

So lange kann Jesus nicht warten. „Hinweg von mir Satan!“ oder: „Hinter mich, Satan!“ So herrscht er den angeblichen ersten Papst an. „Du denkst nicht wie Gott, sondern wie die Menschen!“ (Klaus Berger). Das Vertrauen auf Gott ist nicht zu verwechseln mit einer göttlichen Kranken- und Lebensversicherung. Es geht nicht um Tricks oder Tipps, mit dem Leben zurechtzukommen. Es geht nicht um die Kunst, ein „guter Mensch“ zu sein oder darum, bei Gott gut dazustehen.

Es geht um Nachfolge. Die nächsten Sonntage werden das drastisch zeigen. Jesus warnt geradezu davor, sich in der Welt zu sehr einzurichten. Und er warnt davor, mit menschlichen Mitteln gegen das Böse in der Welt anzutreten. Ganz schnell kann man Teil des Bösen werden, gerade, wenn man es „gut“ meint… „Weiche hinter mich, Satan!“ Durch falsche Mittel und falsche Ziele kann man alles verlieren! Ja, selbst wenn man die ganze Welt gewönne, hätte man nichts davon. Berger übersetzt: „Wer sich selbst als Ziel hat, wird sich verfehlen. Wer sich aber aufgibt für mich und das Evangelium, der wird sich selbst finden“. Jesus versteht ihn, unseren Wunsch nach Leben und nach Glücklichsein. In der Karnevalszeit kommt dieser Wunsch in geballter Form zum Ausdruck. Gut so, wenn gesehen wird, was diese ausgelassene Zeit beendet: Der Ruf in die Nachfolge. Karnevalisten sind religiöse Leute, jedenfalls die richtigen. Sie wissen um den religiösen Ursprung des Karnevals. Sie wissen auch, wann Schluss ist – und wie das normale Leben vonstatten geht. Der „Dauerkarneval“, den wir seit 50 Jahren feiern, scheint vorbei. Mit Jesus müsste man wohl sagen: Gut so! Er warnt ja vor falschen Wegen. Statt dessen ermutigt er zum wahren Leben. Zum Leben hier und jetzt. Mit den Menschen, die in meiner Nähe sind, zum Leben in seinem Auf und Ab, ohne Angst, vertrauensvoll, im Blick auf die Auferstehung. Nichts erfordert mehr Vertrauen. Nichts ist wahrer.