4. Sonntag nach Epiphanias – Matthäus 14,22-33
30. Januar 2011
Epiphanias, liebe Gemeinde, das Aufleuchten der Herrlichkeit Gottes. Sonntag für Sonntag seit dem 6. Januar ist nun die große Stunde jener Geschichten, in denen deutlich wird, wer Jesus ist: die Taufe Jesu am 1. n. Epiphanias; da spricht eine Stimme vom Himmel: „Dies ist mein lieber Sohn!“ Und dann – spektakulär, der 2. n. Epiphanias: Jesus verwandelt Wasser in Wein, die Hochzeit zu Kana. Jesus als Wundertäter, als einer, der alles außer Kraft setzen kann, wenn er denn will. Große Texte! Spannend ist: solche Traditionen bleiben vor Ort lebendig. Wir waren im November in Kana in Galiläa. Da verkauft man heute Tonflaschen mit einer Trick-Apparatur: man gießt Wasser rein – und schenkt Wein aus… Naja… Solche „großen“ Geschichten machen auch ratlos. Was sollen wir heute damit anfangen? „Die damals“ hatten es gut, haben das tatsächlich erlebt. Aber ich? Ich erlebe so etwas nicht… Warum erzählen wir sie dann wieder und wieder?
Heute ist eine weitere solche Geschichte dran. Ich lese zunächst den Anfang:
Jesus trieb seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein. Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen. Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See. Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst! und schrien vor Furcht.
Matthäus 14. Wenn Sie beim Lesen den Eindruck hatten: das habe ich doch kürzlich so ähnlich gehört…, dann täuschen Sie sich nicht. Herr Ludwig hat die Geschichte von der Stillung des Sturmes in der Fassung des Markus-Evangeliums gelesen. Es gibt Varianten in allen vier Evangelien.
Natürlich gehört zu einer Israelreise auch eine Bootsfahrt auf dem See Genezareth. Wir hatten das Glück, diese Partie bei Dunkelheit machen zu können. Der Wellengang hielt sich zwar in Grenzen – aber das dramatische Lesen dieser Geschichte wirkt eindrücklich! Wir spürten: Ja, dieser See Genezareth kann ein gefährliches Gewässer sein! Das Ufer ist plötzlich weit weg, Fallwinde bringen die Wassermassen in Bewegung. Dazu kommt eine neue Form des Verstehens. Man ahnt plötzlich, warum solche Geschichten überhaupt erzählt wurden. Viele stoßen sich ja daran, sagen: abgesehen davon, dass ich so was nicht erlebe – das ist eine Zumutung für einen aufgeklärten Menschen. Wo gibt es denn so was, dass ein Mensch zu Wind und Meer sagt: „Schweig“ – und das funktioniert. Keiner von uns hat das je erlebt.
Wohl aber kennen wir die Ängste, die hier geschildert sind. Dass man sich ausgesetzt fühlt, wie auf dem tosenden Meer, dass das Leben hohe Wellen schlägt, dass Rettung unerreichbar scheint… und dass man Gespenster sieht, Phantasien hat, dass man rettungslos verloren ist…Wer so etwas kennt, erlebt solche Wundergeschichten als hilfreich. Da gibt es plötzlich Bilder für meinen inneren Zustand: aufgewühlte See, wirre Phantasien, nicht mehr unterscheiden können zwischen Wahn und Wirklichkeit. Unsere Sprache ist voll von solchen Redensarten! Wir sprechen von den „Stürmen des Lebens“: die Ereignisse fegen über uns hinweg, ohne dass wir Einfluss haben. „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“, eine Volksweisheit: ein kleiner Anlass kann zu lebensbedrohlichen Folgen führen… Die „Wellen schlagen hoch“, heißt es dann…
Eine Angstgeschichte; besser: eine Geschichte, um Angst auszudrücken, diese Grunderfahrung menschlichen Lebens. Ginge es lediglich um eine Erzählung aus der Vergangenheit – dass da mal Leute auf dem See Genezareth in einen Sturm gerieten – wäre das kaum interessant, vielleicht heute vergessen. Nein, es ist unsere Geschichte… und das gilt auch für die Fortsetzung… Wir waren bis zu der Stelle gekommen, wo es heißt: „…und die Jünger schrien vor Furcht“…
Und da passiert es:
Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht! Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu.
Aus der Angstgeschichte wird eine Trost- und Vertrauensgeschichte. Wieder kann man sagen: so was gibt es doch gar nicht, dass einer bei Sturm das Boot verlässt und auf dem Wasser geht. Ja, ja – man kann den Sinn solcher Erzählungen gründlich verderben, wenn man aus ihnen etwas anderes macht, als was sie selber sein wollen. Wenn man fragt: „Gibt es so was“, „zeig mir das!“, dann gründet man seinen Glauben auf Spektakel. In aller Regel wird man da enttäuscht. Ich habe noch niemanden über den See Genezareth wandeln sehen – obwohl das immer wieder versucht wird. Und ich glaube nicht an Wunderheiler, auch wenn sie im Namen Jesu auftreten. Ich sehe aber, dass Menschen durch Vertrauen auf Jesus gesunden können. Ich glaube, dass der Blick auf Jesus vergessen machen kann, wie schwankend der Boden unter den Füßen ist. „Seid getrost, ich bin’s, fürchtet euch nicht!“ – und Petrus kann plötzlich vertrauen!
Ein Wunder, ja! Aber kein „Naturwunder“, sondern ein Vertrauenswunder. Und dieses ist ausschließlich Jesus zuzuschreiben. Nicht: „Petrus kann auf dem Wasser laufen“, sondern: Jesus kann derartig trösten und Furcht wegnehmen, dass plötzlich alles geht. Er ist der Wundertäter, bzw. Gott, der ihm diese Kräfte verleiht – Epiphanias.
Das Thema „Wunder“ ist derzeit wieder mal aktuell: Wunder gelten in der römisch-katholischen Kirche als Beweis der Heiligkeit. Wenn der Beweis erbracht wird, dass ein verstorbener Katholik Wunder bewirkt, kann er selig- und heiliggesprochen werden. Und da geht es derzeit um den früheren Papst Johannes Paul II., nach eigenem Verständnis Nachfolger jenes Petrus… Die EZ berichtet (30.01.2011): „Bauchschmerzen statt Wunder“. Bischof Friedrich kritisiert Umgang mit Seligsprechungs-Prozess für Johannes Paul II. ROM – Johannes Friedrich, Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), hat Zweifel am Umgang mit Wundern bei katholischen Seligsprechungsverfahren geäußert. Die Tatsache, dass bei einem solchen Prozess eine medizinisch unerklärliche Heilung als Wunder des Kandidaten „scheinbar wissenschaftlich“ bewiesen werden müsse, verursache ihm „Bauchschmerzen“ und übersehe die Bedeutung Gottes als Begründer aller Wunder, sagte Friedrich in Rom. Nur Gott könne ein solches Wunder bewirken. (epd)
Ja, so sind wir Protestanten. Immer prüfen wir kritisch: wird da Gottes Wirken gewürdigt – oder eine menschliche Fähigkeit? Löst sich da etwas ab von der Souveränität Gottes – hin zur Verehrung von „Glaubenshelden“?! Die Geschichte, wie Matthäus sie erzählt, ist da konsequent „evangelisch“. Und damit komme ich zum 3. und letzten Teil. „Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu“, hieß es bekanntlich, und so geht es weiter:
Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir! Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und sie traten in das Boot, und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn.
Ganz klare Sache: hier geht es um die Zuwendung durch Jesus – und nicht um trickreiche Kunststückchen eines Jüngers. Die scheinbare Glaubens-Sicherheit des Petrus wird sofort entlarvt als das, was sie ist: Klein-Glaube, vielleicht: Glaube an die eigenen Fähigkeiten, vielleicht auch ein Misstrauen, ob man Gott wirklich vertrauen kann.
Jedenfalls beginnt er zu versinken, heißt: er selber hat nicht die Fähigkeit, die Gefahr zu überstehen. Er lebt durch die ausgestreckte Hand Jesu, er wird ergriffen – und sich selbst erkennt er als zwar zweifelnden Menschen, der dennoch gerettet wird. „Der Wind legte sich“… die Jünger fallen vor ihm nieder und sprechen: „Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!“
Eine Wundergeschichte – vielleicht die Geschichte auch Ihres Lebens!