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1. Weihnachtstag – Lukas 2,1-20

25. Dezember 2010

Liebe Gemeinde, gestern war es stärker als sonst zu spüren: das Besondere an Weihnachten. Die Heilige Nacht im tiefen Schnee, Kälte, Eis – eigentlich so wie „im Bilderbuch“, romantisch. Aber das hatte auch eine Rückseite. Und auch daran war zu spüren, was Weihnachten bedeutet: viele konnten nicht nach Hause. Kinder konnten ihre alten Eltern nicht besuchen: es war kein Durchkommen auf der Autobahn, die Wetterdienste warnten davor, sich auf den Weg zu machen. Der Weg in die Heimat war vielen versperrt – und damit etwas, was zu Weihnachten gefühlsmäßig dazu gehört. Zu Weihnachten werden Seiten in uns zum Klingen gebracht, die besonders sensibel sind, geschützt, verborgen oft. Es gehören bestimmte Riten und Klänge dazu, diese Seite aufzurufen und zum Klingen zu bringen. Musik hilft dazu, so wie der wunderschöne Gesang der Kantorei – „Danke“ dafür…und wir freuen uns schon auf „In dulci jubilo“.

Es kommt etwas in uns zum Schwingen. Etwas, das leicht untergeht von Januar bis November: Sehnsucht nach einem Neubeginn, Hoffnung auf Sinn, Erfüllung und Frieden – dass sie sich durchsetzt, die Weihnachtsbotschaft, dass Friede wird in der Welt, in unserer Stadt, in mir selber... Zu Weihnachten gelingt das – und es ist hoffentlich bei Ihnen so gewesen, trotz Eis und Schneemassen. Hoffentlich hat sie nicht diese vorweihnachtliche Erschöpfung erfasst. Es gibt eine Ausbeutung der Weihnachts-Stimmung, lange vor dem Fest. Diese Ausdehnung – wochenlang – kann eine Art Erschöpfung hervorbringen, gerade zu dem Zeitpunkt, wo es so weit ist. Schade: viele Menschen sind froh, wenn Weihnachten endlich vorbei ist. Dabei kommt es doch darauf an, dass Weihnachten ein Beginn ist – mit lang anhaltender Wirkung!

Wie kann ich diese besondere Weihnachtsstimmung – quasi – „retten“? Wie bekomme ich sie herüber in mein ganz normales und alltägliches Leben. Wie kann sie wirksam werden in den kleinen und großen Entscheidungen, die zu treffen sind? Es geht darum, dieses so wertvolle Geschenk von Weihnachten zu bewahren. Das, was wir gespürt haben, was uns angerührt hat ... Das darf nicht verschwinden! Singen wir nicht: Welt ging verloren – Christ ist geboren ... Das gilt doch auch nach den Weihnachtstagen! „Lob sei dir in allen Zungen heut und immerdar gesungen“ – so haben wir es eben in der Kantate von Buxtehude gehört. „Immerdar“ – ein altes Wort, aber ein aktueller Inhalt. Die Weihnachtsgeschichte hat eine romantische, ein märchenhafte Schicht. Die spricht das Kind in uns an. Diese Geschichte will aber weiter vordringen, hinein in unser Denken – wir sollen sie begreifen als eine der wichtigsten Erzählungen, welche der Menschheit gegeben sind – keineswegs harmlos!

Worum geht es? Was will uns das sagen: Die ärmlichen Verhältnisse bei der Geburt Jesu. Dass Menschen im Lande herumgestoßen werden, nur weil es einem Kaiser eingefallen ist, die Steuerlisten zu erneuern. Dass Maria und Josef umher irren und keinen Platz finden, obwohl die junge Frau schwanger ist. Wir wissen es: da wird kritisiert, heftigst! Das geht leicht unter: die Weihnachtsgeschichte ist eine umstürzende Schrift! Eine Kampfansage gegen das Römische Reich – damals; und gegen Großmacht-Gehabe heute. Ganz konkret. Das, was die Christen da in ihren kleinen Gemeinden vom Erlöser Christus erzählten, das war und ist kreuzgefährlich! Die erste Folge der Weihnachtsbotschaft war ja der Kindermord von Bethlehem (28.12.). Dass dies so berichtet wird: es ist Kritik an der Macht Rom!!! Stephanus wird gesteinigt: der erste Märtyrer. Kritik an den Herrschenden in Jerusalem, die sich mit der Großmacht Rom arrangiert hatten!!!

Als man die Weihnachtsgeschichte aufschrieb, tat man das bewusst gegen die herrschende Ideologie. Anfang des 1.Jahrhunderts herrschte Friede, ja, aber das war der berühmte „Römische Friede“ (pax romana). Er beruhte auf Waffengewalt, auf immer stärkerer Aufrüstung und auf Unterdrückung der Minderheiten. Weltfrieden – durch Waffengewalt – einhergehend mit der Vergöttlichung des Kaisers. Der „römische Friede“ und das Heil der Welt – sie sind nach dieser Ideologie ein und dasselbe. (Auch heute gibt es solche Wahnideen!) Gegen diesen Wahn geht die Weihnachtsgeschichte an. Mit feiner Ironie bringt sie den Herrscher Augustus ins Spiel: ... “es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Befehl von dem Kaiser Augustus ausging ... .“ Die Volkszählung, dieser großmächtige kaiserliche Befehl – der wird von Gott benutzt, um den wahren Weltheiland kommen zu lassen: Jesus, ein Kind, hilfsbedürftig – und doch eine machtvolle Bedrohung. Ironie – und Kampfansage des Glaubens gegen eine übermächtige Weltmacht.

Wir dürfen stolz sein auf diese Wurzeln unseres christlichen Glaubens! Gerade in den ersten drei Jahrhunderten sind zahllose Menschen hingerichtet worden, weil sie der staatlichen Willkür widerstanden haben. Zwei von ihnen verehren wir hier in unserer Kirche besonders: Cosmas und Damian. „Wir vertrauen nur auf Christus“ – so sagen sie dem römischen Statthalter Lysias ins Gesicht – und müssen dafür sterben. Eine unmittelbare Folge der Geburt Christi ist das. Und so ist das bis heute. Wir in unserer Wohlstandswelt drohen unsere Wurzeln zu kappen. Ohne den christlichen Glauben würde der Welt etwas fehlen. Das Kind in der Krippe war der Beginn eines Umsturzes. Nicht immer erfolgreich, häufig missbraucht – und das Ganze ist nicht zu Ende. Und das Recht, Weihnachten zu feiern und Loblieder zu singen, das haben wir nur, wenn wir auch bereit sind, entsprechend zu leben. Sonst beuten auch wir die Weihnachtstimmung aus, bedienen uns an allerlei romantischen und märchenhaften Motiven – und überlassen die Welt ihrem Schicksal. „Welt ging verloren – Christ ist geboren“, das ist ein schönes Lied, ja, vor allem aber ist es eine Ansage für die Zukunft; eine, die uns in die Pflicht nimmt. Weihnachten: Die Friedensbotschaft in einer friedlosen Welt! Die Menschenliebe Gottes in den oft so kalten Alltag hinein! Durchaus nicht harmlos das alles – ganz im Gegenteil! Wichtiges ist im Gange. Gott ist unterwegs. Er verbündet sich mit den Entrechteten. Und wir können uns anschließen und ganz in diesem Sinne handeln.

Also: Was ist wirklich wichtig? Wovon lebe ich? Was gibt meiner Seele Nahrung? Womit muss ich aufhören? Wo bin ich zu sehr obrigkeitsgläubig? Wo gehe ich der Propaganda der Mächtigen auf den Leim? Weihnachten gibt ganz viele Antworten auf die Fragen des Lebens. Die wichtigste kommt mitten in der Heiligen Nacht. Gott fängt ganz klein an. Auch wir dürfen ganz klein anfangen. „Fürchtet euch nicht!“, rufen die Engel.